Eine gerade veröffentlichte Studie der Ruhruniversität Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Tobias Singelnstein zeigt: Wenn Polizisten gewalttätig werden, so wird das nur selten strafrechtlich verfolgt und noch seltener geahndet. Polizisten verpfeiffen einander nicht und der Justiz mangelt es an der nötigen Objektivität – ein struktureller Fehler.
Das Polit-Magazin Report Mainz berichtete gestern eindrücklich darüber: Prügelnde Polizisten – Versagt die Justiz?
Auch ich habe im Wasserwerfer-Prozess im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 genau diese Erfahrung gemacht. Mein Mandant Dietrich Wagner wurde von einem Wasserwerfer blind geschossen, obwohl er lediglich ganz friedlich gegen eine nicht genehmigte Baumfällung im Stuttgarter Schlossgarten demonstrierte. Letztlich wurden nur zwei Polizisten, die letzten Glieder in der Befehlskette, mit vergleichsweise geringen Strafen belegt. Die eigentlichen Verantwortlichen kamen davon.
Der Schwarze Donnerstag in Stuttgart
Am 30.09.2010 wurde zwecks Errichtung einer Baustelle der Mittlere Schlossgarten in Stuttgart geräumt. Regierung, Bahn und Polizei wollten rechtzeitig zum Ende der Vegetationsperiode am 01.10.2010 hunderte Jahre gewachsene Platanen im Naherholungsgebiet fällen, um die Baugrube für das mehr als umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 zu ermöglichen. Die Entscheidung für den konkreten Polizeieinsatz wurde einen Tag zuvor, am 29.09.2010, im Staatsministerium Baden-Württemberg unter Leitung des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) gefällt.
Schriftliche Bedenken des damaligen Landespolizeipräsidenten H. blieben unerhört. Gesamteinsatzleiter der Polizei war der damalige Polizeipräsident Siegfried S. Er war in ständiger Begleitung des damaligen Oberstaatsanwaltes Bernhard Häussler, Leiter der Abteilung 1 der Stuttgarter Staatsanwaltschaft.
An jenem Tage waren vier Demonstrationen in Stuttgart gegen Stuttgart 21 angemeldet. Schon um 10.00 Uhr kam es zur ersten Demonstration von Schülern direkt am Stuttgarter Hauptbahnhof. Proteste der Umweltschützer waren ohnehin längst angekündigt. Über die sozialen Medien wurde sodann der sogenannte Parkschützeralarm ausgelöst, als bekannt wurde, dass Hundertschaften der Polizei im Anmarsch waren. Die „Alarmbereitschaft“ der Parkschützer wurde dadurch erhöht, dass auch die Ankunft von Wasserwerfern angekündigt wurde. Daher rannten nicht nur die ca. 2000 Jugendlichen der o.g. Demonstration in den Schlossgarten, sondern alle, die über Twitter von der geplanten Rodung im Wohngebiet informiert wurden. Nach und nach kamen Tausende Menschen in den Schlossgarten.
Fehleinschätzung und Fehlverhalten der Polizei
Die Polizei hatte die Situation komplett verkannt. Zunächst wurden Mitglieder der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in den Park geschickt, die von Anfang an Jugendliche schickanierten und –teilweise mit gezogenem Schlagstock – aus dem Park treiben sollten –erfolglos.
Sodann wurden Pfefferspray und Reizgas eingesetzt. Dies ist gegen Kinder und Jugendliche verboten. Anschließend wurden sogar Wasserwerfer eingesetzt. Um es deutlich zu sagen: Das Verhalten der Stuttgarter Polizei war absolut rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Stuttgart mittlerweile rechtskräftig bescheinigt hat.
Insgesamt wurden weit über 400 Menschen verletzt. Die Polizei erwähnte lediglich die Verletzen, die sich bei dem (viel zu spät) eingerichteten Roten Kreuz Zentrum meldeten, nicht aber diejenigen, die bei den Parkschützern und anderen ärztlichen Nothilfestationen eingetroffen waren.
Am schwersten verletzt wurde mein Mandant Dietrich Wagner. Er ist durch den Übergriff der Polizei nachweislich fast vollständig erblindet. Auf seinem linken Auge ist er durch den Wasserwerferangriff zu 100 Prozent erblindet, auf dem rechten Auge hat er nur noch eine Sehkraft von etwa fünf Prozent. Auch andere Bürger wurden schwer an den Augen bzw. an anderen Körperteilen verletzt.
Anklage nur gegen die schwächsten Glieder der Kette – und auch nur pro forma
Die beiden Einsatzleiter vor Ort (Mittlerer Schlossgarten) wurden nach erheblichem Drängen unserer und anderer Kanzleien angeklagt. Ich erlaube mir die Aussage, dass es ohne unsere öffentliche Berichterstattung nie zu einem Prozess gekommen wäre. Meine Erfahrung aus diesem Fall ist: Man musste die Staatsanwaltschaft zum Jagen tragen. Der Justiz war das mehr als lästig. Der eigentlich zuständige Vorsitzende der großen Strafkammer nahm nach der ersten (nicht öffentlichen Sitzung) seinen Hut, das Verfahren wurde einer anderen Strafkammer unterstellt. Diese führte unter Vorsitz der Richterin am Landgericht nunmehr das Verfahren und setzte über 40 Verhandlungstage fest. Angeklagt waren zwei „Einsatzabschnittleiter“, also diejenigen der Polizei, die am konkreten Ort die Verantwortung trugen.
Über sieben Monate wurde verhandelt. An einem der letzten Verhandlungstage wurde auch Oberstaatsanwalt Häussler vernommen. Dieser erklärte, dass er die Verantwortung bei den Angeklagten sähe, dass der Polizeipräsident das Ausmaß der Eskalation nicht gekannt und er lieber weggehört habe, um nicht gegen die Polizei aussagen zu müssen.
Völlig überraschend wurde das Verfahren daraufhin gegen eine (lächerliche) Geldbuße von 3000 Euro mit der Zustimmung der Staatsanwaltschaft eingestellt. Beweisanträge der Nebenkläger, insbesondere von mir, wurden nicht beachtet. Meine These: Die Beendigung dieses Verfahrens folgte nicht Recht und Gesetz, sondern aus fachfremden Gründen.